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Antonis Kalfas: All diese Jahre voll Nebel

  543 Wörter 2 Minuten 1.107 × gelesen
2017-01-31 2017-04-24 31.01.2017

"Heimat ist"
Heimat ist
ledige Männer
Felder und Verbotsschilder
Das Tintenfass einer Provinzsekretärin
Abiturienten, die vom Feld zurückkehren
Der Nationalfeiertag und die zärtlichen „Ich liebe dich“
Heimat sind die wichtigtuerischen Überholungen und
aufeinander folgenden Gratulationen aus unmittelbarer
Nähe
Die geographische Lage
der Verwundeten
ist Heimat"

"Schöner Sonntag"
Schöner Sonntag, an dem die Kinder ihre Eltern
besuchen
in den Altersheimen
An dem die Alten einige Blumen niederlegen
auf den Friedhöfen
Schöner Sonntag wie ein leerer Platz, eine verlassene
Straße - von der Langeweile vergessen
Schöner deutscher Sonntag, auf die Seite gelegt
vor Überdruss und Ekel"

"Treue Lieder"
Kristallene Märchenschlösser
Untröstliche Pfade der Liebe
Ferne Feste der Mädchen
(ewiges Geschenk der Provinz, die wir gemeinsam berührten)
Junge Äste der warmen Sternenwelt
während ihr sanft zum zitternden Busen klettert
sehe ich vergessene Blumen wachsen
himmlische Melodien voller Versprechen
Gebete und abgeschaffte
Träume
Lieder, die wir teuer bezahlten"

Diese drei Gedichte von Antonis Kalfas stammen aus seinem im Romiosini Verlag erschienen, griechisch-deutschen Gedichtband „All diese Jahre voll Nebel“. 1956 im nordgriechischen Katerini geboren - acht Schwarz-Weiß-Fotos von Savvas Tsiligiridis („SaTsi“) von Katerini aus den Jahren von 1953 bis 1973 bereichern den lesenswerten Gedichtband -, studierte Kalfas von 1974 bis 1979 Politische Wissenschaften in Athen und von 1980 bis 1985 Mittel- und Neugriechische Philologie in Ioannina. Seit 1990 arbeitet er als Philologe an griechischen Gymnasien und Lyzeen, zurzeit leitet er das griechische Lyzeum in Wuppertal. Bis heute hat Kalfas, der den Verlag „Ta Tramakia“ in Thessaloniki leitet, einige Gedichtbände und Sachbücher veröffentlicht.
Elias Kefalas schreibt in seinem Nachwort von „All diese Jahre voll Nebel“: „Antonis Kalfas ist der Dichter des menschlichen Bedürfnisses nach kollektiver Trauer und Wohlbefinden, nach Sozialisierung und Solidarität, hauptsächlich aber nach gleichmäßiger Akzeptanz des Sonnenscheins eines jeden Tages. Die Heimat der Anderen wird zu seiner Heimat, die Staatsangehörigkeit der Menschen wird durch die Dichtung ökumenisch und zeitweise erdübergreifend, die neue Sprache wird zu einem Bündel vielfältiger Wörter mit in jeder Ecke der Erde verzweigter Abstammung, jeder Aufenthaltsort zu einem Phantasiepuzzle mit Brausenecho der Flüsse Amazonas, Donau, Aliakmon und Wolga; mit Schneeduft von den Anden, dem Olymp und dem Schwarzwald. Und der Dichter: ein Einsamer unter den Massen, ein Flaneur - verloren in den traurigen Zimmern der Welt.“
Die in „All diese Jahre voll Nebel“ veröffentlichten Gedichte stammen aus den Jahren von 1980 bis 2005. Sie wurden aus dem Griechischen von Sophia Georgallidis und Niki Eideneier übersetzt, einige werden zum ersten Mal veröffentlicht. Nicht alle sind so kurz wie die eingangs zitierten, manche haben fast den Charakter einer Erzählung wie zum Beispiel das Nikos Stratakis gewidmete Werk „Entwurf für ein Gemälde“. Die Liebe und das Leben, die Heimat und die Erde, das menschliche Miteinander, die Dichtkunst selbst und ihre Bedeutung für den Menschen, der Tod sind wiederkehrende Themen der Gedichte von Antonis Kalfas.
Er wechselt zwischen realen und fiktiven Daten, geographische Orte verschmelzen miteinander. Kalfas erzählt mal einfach, mal rätselhaft, hilft dem Leser nicht beim Begreifen. Denn schließlich, so stellt Elias Kefalas in seinem Nachwort fest, sei die Dichtung nicht etwas, „das wir begreifen, sondern nur erfühlen können. Es gibt keine Tür, die uns den Zugang zu ihr verschafft, denn: Entweder befinden wir uns wie durch ein Wunder in ihrer Gnade, oder wir bleiben für immer außen vor.“

Kalfas Antonis
All diese Jahre voll Nebel.
Griechisch-deutscher Gedichtband.
Romiosini Verlag
159 Seiten.
ISBN 3-929889-79-X.